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  • Photo du rédacteurRosula Blanc

Lufang

Mit den Yaks Lufang, Julong und Manduk sind Sonja und ich 2011 in zwei Monaten von Evolène im Wallis bis nach Menton an die Mittelmeerküste getrekkt. Während der Reise war Lufang der Leader der Karawane. Er ist ein sehr ambitiöses Tier und will alles richtig machen, auch hat er eine grosse Begabung den Berg zu lesen und in schwierigem, gefährlichem Gelände den besten Weg zu finden. Als ich dies verstanden habe, lies ich ihn immer mehr den Weg selbst suchen und selbst entscheiden. Es entstand ein richtiger Dialog zwischen uns. Ich lernte Respekt und Vertrauen. Wir wurden zu Partnern, aber trotz der langen Reise und seiner guten Mitarbeit hatte ich mit Lufang nie ein inniges, gefühlsbetontes Verhältnis. Yaks sind allgemein sehr zurückhaltende, eher scheue Tiere, die sich nicht sehr gerne anfassen lassen. Ich habe gelernt dies zu respektieren.

An einem Morgen im März 2014 steht Lufang alleine von der Herde entfernt. Er zittert am ganzen Körper, stöhnt, hält den Kopf tief am Boden, hat Untertemperatur. Ich habe sofort den Verdacht, dass es Harnsteine sein könnten, da dies in der Schweiz bei Yakochsen schon einige Male vorgekommen ist. Yaks sind sonst kaum je krank und Harnsteine sind eines der schlimmsten Krankheitsbilder, die man kennt. Ich rufe unseren Tierarzt an. Er kommt vorbei und sagt, dass das einzige, was er tun kann, ist ein Spasmolytikum zu spritzen und zu hoffen, dass Lufang den Stein herausschaffen kann. Wir rufen das Tierspital in Bern an, dort sagt man uns, dass sie unter Vollnarkose einen Katheter legen können und man damit Zeit gewinnt, dass der Stein sich herausschaffen kann. Operieren tun sie einen Stein nicht. Um Lufang nach Bern ins Tierspital zu bringen müsste er mit dem Helikopter bis zur Strasse geflogen werden und dann fast drei Stunden im Anhänger transportiert werden. Für ein Yak ist es sehr stressig von der Herde getrennt und allein zu sein. In seinem Zustand einen langen Transport zu machen ist eine Quälerei. Ich beschliesse, ihn hier zu behalten, dass er zuhause sterben darf, wenn sein Körper der Stein nicht herausgeschaffen kann.

Ich telefoniere mit Natascha, einer Tierärztin, die auch homöopathisch behandelt und Sonja, die Tierkinesiologin ist. Wir beginnen die homöopathische Behandlung und Sonja begleitet uns auf Entfernung. Massiere Lufangs Rückenmuskeln auf beiden Seiten der Wirbelsäule (Blasenmeridian), die stein hart sind. Er schätzt die Massage (während er sonst bei Massage um die Nierengegend oft fortläuft). Neben der Massage begleite ich Lufang mit QiGong. Lege die Hände auf, halte ihn, halte seinen Bauchraum, versuch ihm mit meinem Qi, meiner Präsenz ein Gefäss zu geben, in dem sich der körperliche Prozess abspielen kann. Lufang ist unglaublich rezeptiv und nimmt meine Präsenz gerne an, was mich sehr berührt und in meiner Arbeit bestärkt. Die Prozesse in seinem Bauchraum sind chaotisch, das Qi geht wild durcheinander. Ich kann es nicht bündeln, nur manchmal momentweise in eine etwas rundere Bewegung leiten, dann geht es wieder chaotisch in alle Richtungen. Ich kann ihm nur das Gefäss geben. Raum geben, Vertrauen geben, Dasein im Prozess. Versuche ganz leer zu werden. Sein Körper weiss besser als ich, was er braucht. Das Qi weiss selbst am besten, wo es arbeiten muss. Nur da sein.

Manchmal überkommt mich der Schmerz, das Unverständnis, die Verzweiflung, dass Lufang sterben könnte, dass es ihn getroffen hat. So plötzlich. Er, der Yakgeschichte geschrieben hat. Er, Dank dem ich bin, wer ich bin. Er, der mir erlaubte meinen grössten Traum zu erfüllen. Er, der sich immer so Mühe gibt. Er, der so zurückhaltend ist. Er, Lufang! Erinnerungen kommen und gehen. Tränen. Viele Tränen.

In seinem Bauch immer noch Chaos.

Immer mehr sind wir einfach nur zusammen. Der herzzerreissende, brutale Schmerz verwandelt sich immer mehr in Vertrauen in den Prozess – wo auch immer er uns hinführen mag...

Nochmals sind wir zusammen auf einer Reise. Doch dieses Mal bin nicht ich der Führer, du bist es Lufang. Oder dein Körper. Ich komme mit dir, wohin auch immer die Reise gehen wird. Ich vertraue dir. Ich weiss, dass du immer den besten Weg findest. Lufang, mach dir keine Sorgen. Ich weiss, wie gut du alles machen willst. Lufang du musst nicht für mich gesund werden. Zu Sterben ist kein Versagen. Lufang! Ich komme mit dir, wo auch immer dein Weg dich führen mag.

Sein. Vertrauen. Loslassen. Zulassen. Damit Heilung stattfinden kann.

Die nächsten Tage bin ich weiter bei ihm. Telefoniere mehrmals am Tag mit Natascha und beschreibe ihr seinen Zustand und wir passen die homöopathischen Mittel an. Telefoniere auch mit Sonja, die mir bestätigt, was ich spüre. Sein Lebenswille ist ungebrochen. Wir sind alle im selben Prozess.



Bin weiter bei ihm. Versuch ihm mit meinem Qi Ruhe und Unterstützung zu geben. Lasse meine Intuition mich leiten. Massage, mal ganz feines Abstreichen, dann intensiver, dann wieder ganz leicht, lasse mich in die Bewegungen tragen wie es mir mein Körper suggeriert... Immer mehr fühle ich das „Zusammensein“. Immer wieder sage ich ihm, dass es ok ist. Leben wie Sterben. Alles ist ok. Versuche ganz offen und weit zu sein. Nicht, dass er für mich weitermacht, für mich kämpft. Aber was ich spüre ist, dass wir zusammen gehen, zusammen auf der Reise sind. Spüre unglaublich stark den Prozess – der seine eigene Zeit braucht. Den man nicht verschnellern kann. Wie eine Geburt. Denke an die Yaks und Nomaden auf den Hochebenen in Tibet – dort wäre es dasselbe: keine medizinische Versorgung, keine Möglichkeit einzugreifen. Alles was man tun kann, ist da zu sein. Ganz da zu sein... Denke an Meister Li, der erklärte, QiGong sei vor langer Zeit entstanden, als es noch keine Medizin gab - aber die Menschen haben durch Erfahrung verstanden, dass es durch Ruhe ihrem Körper besser ging und begannen diese Ruhe zu pflegen... Wenn wir nichts Äusserliches zur Hand haben, haben wir immer noch unser Qi; die Berührung, die das Qi eines anderen Wesens beruhigen kann, oder als Katalysator dienen kann, damit es sich wieder sammeln kann...

Abends unter derselben Decke halte ich ihn weiter. Es gibt immer weniger, was ich tun kann. Wir sind einfach zusammen. Sein Zittern, sein Sein durchdringt mich. Spüre seine Wärme, seine Gegenwart. Spüre wie er mich ganz und gar akzeptiert neben sich. Spüre das Vertrauen. Die Liebe. Lufang, schau die Sterne. Lufang, spüre die Kraft der Berge, der Erde. Schau wie schön es ist. Diese Berge, die wir so geliebt haben. Möge die Erde dich tragen, möge sie dir Kraft geben zur Heilung!

Ich habe ganz Vertrauen. Glaube nicht, dass ich mich schützen muss. Schlafe, um die Kraft zu haben weiter zu machen, esse, trinke – und bin wieder bei ihm.

Wir überschreiten einen ersten Pass. Das Zittern in seinem Bauch verändert sich, senkt sich, wird etwas feiner und weniger chaotisch. Der Stein scheint in die Harnröhre gewandert zu sein. Beim Abtasten unter dem Bauch entdecke ich ein kleines Euter. Ein Ödem? Ist Harn ausgelaufen? Ich massiere das Euter, versuche nach vorne zu evakuieren. Lufang arbeitet extrem mit. Atmet in die Massage, drückt in meine Hand. Ich knie unter ihm, drücke, massiere. Zusammen ist es ganz intensiv. Er könnte schlagen – gegen mich, gegen den Schmerz - aber er tut es nicht, er arbeitet konzentriert mit. Am Penisausgang wird es etwas feucht in meiner Hand... Wenn wir den Stein hinausschaffen könnten!! Lufang trinkt. Nochmals intensive Massage, nochmals Feuchtigkeit am Penis... Es ist fast Mitternacht, bin total erschöpft, muss etwas schlafen.

Am Morgen finde ich Lufang schlafend in mitten der anderen Yaks. Mir scheint derselbe Zustand wie am Abend zuvor. Ich hatte so gehofft, es löst sich. Bin so enttäuscht und traurig. Massiere ihn nochmals, nochmals etwas Feuchtigkeit, nicht mehr. Ich denke, die Blase ist gerissen… Sonja sagt, sie fühlt ihn besser, erleichtert, Spannung auf der Blase habe gelassen. Vielleicht konnte er Harn lassen? Ich möchte so gerne daran glauben, bin mir aber nicht sicher. Habe Panik beim Gedanken, dass ich den Tierarzt zur Euthanasie rufen sollte. Er hat sich schon beschwert, dass ich zu lange warte. Man hat mir gesagt, es wäre ein Tierschutzfall, wenn man ein leidendes Tier nicht einschläfert. Aber ich fühle Lufang nicht bereit. Es stimmt nicht! Ich kann nicht! Er ist begleitet, Stunde um Stunde bin ich bei ihm. Beobachte ihn, kontrolliere ihn, fühle wie es ihm geht, lausche, ob er mir sagt, dass er gehen will. Aber er sagt es nicht. Liege zwischen seinen Beinen, meine Hand auf dem kleinen Euter. Die Finger massieren sanft, manchmal hebt er ein Bein, wenn es schmerzt und legt es dann ganz sachte auf meinen Oberschenkel. Manchmal schaut er mir zu, seine Hörner ganz nahe an meinem Kopf. Er könnte mich so leicht verletzen, aber er gibt so acht auf mich.

Es geht ihm besser. Er trinkt. Er frisst ein paar Halme Heu. Leckt Erde. Verteidigt seinen Platz in der Herde. Geht ein Stück den Hügel hinauf. Knabbert die allerersten grünen Halme auf einem schneefreien Platz. Die momentane Verbesserung nachdem die Blase gerissen ist? Vor der inneren Vergiftung? Versuche seinen Atem, seinen Geruch zu riechen – er riecht immer noch gut. Wir sind einfach da. Das Zittern in seinem Bauchraum ist nochmals ruhiger geworden, hat fast aufgehört.

Mittags beginnt die Vergiftung einzusetzen. Er atmet flach und schnell, das Herz schlägt stark. Im Bauch hat sich das Chaos gelegt. Jetzt ist es klar. Ich weiss, dass wir nochmals über einen Pass sind, nun läuft die Reise Richtung Tod. Sonja, Angelika und Natascha sagen alle dasselbe. Ich gebe das Ok zur Euthanasie. Denke, dass der Tierarzt wohl Ende Nachmittag oder gegen Abend kommt. Es gibt nichts mehr zu tun. Wir haben alles getan, was man tun konnte. Alles ist geregelt, organisiert. Ich muss an nichts mehr denken. Nur noch Sein. Diese letzten Stunden zusammen. Ich lege mich neben Lufang an die Sonne mitten in der Herde. Meine Arme um ihn gelegt, mein Körper an seinem Körper. Er ist ganz ruhig. Sein Körper ist ganz ruhig. Alles ist ganz fein geworden. Wie ein grosser, ruhiger Fluss, der weiss, wohin er fliesst. Ohne Stauung. Ohne Hindernis. Alles ist gut. Alles ist perfekt. So unglaublich gut und perfekt. Und plötzlich fliesst so viel Liebe. Niemals zuvor habe ich so viel Liebe gespürt. So fein. So warm. Die Schwingungen unserer Energien sind eins geworden. Tränen – Tränen der Dankbarkeit, der Liebe.

Dann plötzlich das Knattern des Motors, mit dem er Tierarzt kommt. So schnell schon? Angst ergreift mein Herz. Es ist so falsch. Wir brauchen den Tierarzt nicht mehr. Alles ist perfekt wie es ist! Andre kommt mit dem Tierarzt und seiner Gehilfin. Lufang ist aufgestanden. Ich auch. Wir waren so weit weg. So tief. „Wartet. Ich glaube es ist nicht mehr nötig, es ist nicht der Moment“, stottere ich. Aber die Männer hören nicht. „Hör auf jetzt, hast schon viel zu lange gewartet“, sagt der Tierarzt „das Yak muss runter, dort stehen, wo es flach ist.“ „Könnt ihr nicht warten, dass er sich wieder hinlegt?“ „Glaubst du, ich habe den ganzen Tag nur das zu tun?“ Ich war schon zweimal dabei, als ein grosser Stier eingeschläfert wurde, ich weiss, wie es geht. Es geht so schnell! Aber jedes Mal lag das Tier. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass Lufang liegend in meinen Armen sterben kann. Dass unser Fluss einfach etwas verschnellert würde. Ich will diesen letzten Moment mit ihm teilen. Nach der unglaublich intensiven Reise, die wir die letzten drei Tage zusammen gemacht haben...

Man stösst mich weg. Der Tierarzt setzt die Spritze an. Lufang fällt, überschlägt sich, ist tot. Man zieht eine Blache über seinen toten Körper. Der Tierarzt geht. Er hat seinen Job getan. Sauber und schnell.

In mir ist etwas explodiert. Alles auseinandergerissen. Alles zittert. Auf den Tod habe ich mich drei Tage vorbereitet. Habe Schritt für Schritt von Lufang Abschied genommen. Habe so viel geweint. Immer mehr losgelassen. Wurde immer offener und leichter. Mit dem Tod waren Lufang und ich im reinen. Aber nicht mit dieser Gewalt. Diese Gewalt und Herzlosigkeit nach dem tiefen Moment von Liebe. Auf alles war ich vorbereitet, aber nicht darauf. Mein Qi, mein Herz, mein Sein waren weit offen, ungeschützt...

Ich versteh die Welt nicht mehr. Auf keine Art. Wie ich sie auch drehen mag. Selbst Menschen können wohl kaum eine bessere Sterbebegleitung erwarten, als ich sie Lufang geben konnte. Noch nie in meinem Leben konnte ich selbst so offen sein, so da sein, so in Akzeptanz und Harmonie mit dem Moment sein. Noch nie in meinem Leben habe ich einen solchen tiefen Moment von Liebe erfahren. Und all dies ist nichts wert? Dies ist ein Tierschutzproblem? Und wenn es „nur ein Tier“ ist und ich nicht so trauern soll, wo ist dann der Respekt vor mir? Wenn ich als Mensch so viel mehr gelte? Mich habt ihr zerstört, vergewaltigt. Aber auch dies ist euch egal. Es stimmt auf keine Seite: vom Tier aus gesehen, vom Menschen aus gesehen...

Der Schmerz ist unglaublich, gewaltig. Der Schmerz ist nicht der Tod von Lufang. Der Schmerz ist diese Gewalt, Kälte und Verachtung des Lebens; diese universelle Gewalt, die überall auf der Erde existiert. Krieg, Gewalt – unsere Liebsten, die vor unseren Augen todgeschossen werden, nichts als Abfall sind für die anderen. Ich kann nicht mehr gerade denken. Kann nicht hinsitzen und mich konzentrieren. Finde mein Qi nicht. Kann es nicht sammeln. Panik überkommt mich. Weiss nicht wieso. Es gibt ja nichts mehr zu tun. Und doch Angst. Angst. Habe den Boden unter den Füssen verloren. Kann kaum schlafen nachts, grosse Schmerzen im Brustraum. Dieses Angstgefühl im Bauch und immer nur die Bilder vom Tierarzt, von Lufang, der fällt, sich überschlägt. Habe keinen Zugang mehr zu unserem Moment von Liebe. Oder wenn ich ihn finde, dann kommen gleich um so brutaler die Bilder der Gewalt, die uns auseinanderreisst.

Am nächsten Morgen kommt der Helikopter, um Lufangs Körper zur Strasse zu fliegen. Als André die Blache wegnimmt, schaue ich Lufangs Ausdruck: die Augen sind geschlossen, er sieht so friedlich und glücklich aus. Wie gut es tut ihn so zu sehen. Aber es ist noch ganz viel Qi um ihn, ich weiss nicht, ob es seines ist oder meines. Ich habe auf dich gewartet, scheint er zu sagen. Wo warst du denn? Ich setzte mich zu ihm. Lehne mich an. Es ist gut bei ihm zu sitzen. Ihn nochmals zu spüren. Seinen schönen, friedlichen, glücklichen Ausdruck zu sehen. Langsam kommt ein wenig Qi, ein wenig Kraft und Ruhe in meinen Körper zurück. Ich schneide ein paar Haare seines Behanges ab. Lufang, du darfst nicht in diesem Körper bleiben. Der Körper wird seziert werden. Man wird nachforschen, warum du gestorben bist und ob man mit der Erkenntnis andere Yaks retten kann. Mit deinem Tod wirst du nochmals Yakgeschichte schreiben. Aber Lufang, du brauchst den Körper nicht mehr. Wenn noch etwas von dir da ist, bleib bei diesen Haaren. Ich werde sie bei mir behalten. Lufang, bald wird der Helikopter kommen.

Mit dem Helikopter erhebt sich sein Körper in die Luft. Es ist nicht grausam. Es ist schön. Lufang, schau, dein Körper fliegt wie ein Vogel!

Auf dem Anhänger ist Lufangs Körper nur noch ein toter Körper. Beim Sezieren hat man den Harnstein gefunden. Ganz weit unten 20cm vom Ausgang…

Lufangs Reise... Unsere Reise... Nun bleibt meine Reise – wieder heil zu werden. Diese Gewalt zu verkraften. Wieder Zugang zu der Liebe zu finden, die Lufang mir geschenkt hat. Damit umgehen zu lernen, dass wir in einer Welt leben, wo Liebe und Gewalt so nahe nebeneinander sein können. Nicht das Herz zu verschliessen.... Da sein.... Einfach da sein...


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